Ein Gang über etwas rüber, drunter und drüber, über Gänge und durch Enge, wiederkehrend Untergänge.
Übergänge lassen sich nicht so recht greifen - schon während man es ausspricht, gleiten sie einem durch die Finger. Sie bilden eine Zwischenzeit, diesen Raum, der zwischen zwei Stühlen steht, nicht Fisch nicht Fleisch. Eine Zeit der Transformation, in der man ganz genau spürt, dass sich etwas verändert, doch es noch nicht genau definieren kann. Das „Alte“ fängt an zu schwanken und sich aufzulösen, ist dafür aber ganz schön hartnäckig. Es ist tief verankert in seinem Sein und scheint von selbst nicht darauf aus zu sein, die Anker zu lichten. Was das „Neue“ angeht, so kündigt es sich vorerst mit einer vagen Vorahnung an. Dann zeigen sich immer mehr einzelne Aspekte dieses Neuen. Es ist irgendwie schon da, doch scheint es, als ob es trotz stetigen Fortschritts gar nicht die große Motivation hat, seinen Platz voll und ganz einzunehmen. Ein sehr paradoxes Momentum, dieser Übergang.
Klar zu erkennen ist, dass das Alte meist ungern loslässt und das Neue um sich bitten lässt - unabhängig davon, ob man es als gut oder nicht gut empfindet. Es trägt beinahe eine Arroganz in sich. Vielleicht weil es weiß, dass es unausweichlich ist. Weil es darauf wartet, dass man sich ihm hingibt und es annimmt.
Kampf der Giganten
Übergänge sind mitunter ein harter Kampf zwischen Alt und Neu, bei dem letztendlich aber nur das Alte darum kämpft, noch nicht weichen zu müssen. Das Neue kommt in Wellen, wird dann wieder vom Alten übertrumpft, nur um in aller Ruhe eine nächste Welle zu senden. So, wie der Winter mit ersten kalten Nächten Einzug hält, während der Herbst mit voller Wonne die Landschaft schmückt und uns mit seiner Präsenz so lange es ihm nur irgendwie möglich ist, erfreuen möchte. Beide wissen, ganz gleich wie sehr der Herbst kämpft, der Winter wird sich über das Land legen und die Böden gefrieren lassen. Bis der Frühling den nächste Übergang ankündigt. Übergänge sind das Leben, sie gehören zum Kreislauf dazu und sind von Natur aus gewollt. Ob in der Natur selbst oder in unserem menschlichen Leben.
Der Kampf der Wandlung ist bitter, manchmal kurz und heftig, manchmal wie ein Kaugummi, das mehr Elastizität in sich trägt, als man ihm je zugetraut hätte. Ein Ringen zweier Energien, die gerade durch ihr Hin und Her keine Klarheit, Sicherheit und Planbarkeit in sich tragen. Ein Wandern zwischen zwei Polen, zwischen zwei Welten, das sich mitunter auch anfühlt wie eine Karussellfahrt.
Vor lauter Schlingern und Unsicherheit vergessen wir dabei manchmal, was für ein Zauber in diesem Übergang liegt. Ja, tatsächlich trägt er eine Energie in sich, die kein Vorher oder Nachher jemals aufweisen wird. Ob eine Jahreszeit, eine Lebensphase, neue Projekte und Partnerschaften oder Emotionen.
Ich selbst fand Übergänge über viele Jahre irgendwie ganz gut, aber vor allem unerträglich. Permanent veränderte sich etwas, ob im Außen oder in der inneren Wahrnehmung. Nie kam man wirklich an, konnte einfach mal sein.
Kaum war man im Sommer so richtig angekommen und hätte noch so viel planen können, kam schon der Herbst um die Ecke.
Kaum hatte man sich im Studium so richtig eingefunden, nahte schon das Ende.
Kaum ist man an einem Ort angekommen, muss man möglicherweise schon weiter.
Wenn Außen Innen wird und Innen Außen
Viel verheerender fand ich neben den äußeren Übergängen, die zugegeben sehr wehmütig sein konnten, die inneren Übergänge. Jene der inneren Wahrnehmung in der Gefühlswelt. Wir alle leben in unserem eigenen Bewusstseinszustand, nehmen die Welt individuell wahr. Und wir alle durchleben unterschiedliche Phasen der Reifung und Entwicklung. Angefangen als Baby und Kind, hin zu jeder neuen Erfahrung im Leben, die uns prägt. Manchmal sammeln wir diese Erfahrungen nebenbei auf, manchmal ereilen sie uns mit einer Wucht, die wir selbst nie wählen würden. Es passiert immer genau dann, wenn wir unmittelbar mit einer Situation konfrontiert werden, die neu ist und eine Entscheidung von uns fordert.
Oder, ein absoluter „Klassiker“: Das Leben selbst ruft danach, man spürt, da geht noch mehr: Ich bin noch nicht wirklich angekommen, fühle mich noch nicht wohl, bin noch nicht so, wie ich eigentlich sein möchte und so weiter, wir kennen sie alle, diese Liste… Genau dieses Gefühl ist so undefinierbar und sitzt wie ein Floh im Fell, der einen juckt und juckt..
Ich selber habe seit den frühen Zwanzigern so viel dafür getan, um mich innerlich weiterzuentwickeln, habe mich gedreht und gewendet, geschuftet und geackert. Doch bis die ersehnte Veränderung auch tatsächlich spürbar Einzug in mein Leben hielt, dauerte es immer. Vieeeeeeel zu lange.
Viel schlimmer, ich hatte dabei bereits einen Geschmack von dem, was kommen würde, wurde aber immer und immer wieder zurückgezogen in die alten Empfindungen. Es werfe den ersten Stein, wer nicht in gewissen Situationen wieder so reagiert oder empfunden hat, wie es für gewöhnlich abläuft, statt so, wie er es sich vorgenommen und auch bereits - theoretisch - erarbeitet hat. Es braucht halt alles Zeit und Wiederholung, bis es „sitzt“.
Heute ist mir klar, warum das so ist und wie man damit umgehen kann. Viele Jahre war es schwer auszuhalten und ich fragte jeden, mit dem ich darüber sprach, immer wieder: ‚Wie lange noch‘ und ‚wann‘. Genau diese zwei Fragen bringen letztendlich genau gar nichts, doch ich wusste in dem Moment nicht, was zu tun war.
Kennst Du sowas? Insbesondere dann, wenn es einem phasenweise mal nicht gut geht, steigt die Ungeduld (und die „Rückfallquote“). Ja, man kann sagen, ich war in gewisser Hinsicht ungeduldig. Ich war jung und musste einige Erfahrungen diesbezüglich sammeln, doch ich wäre heutzutage, so glaube ich, nach wie vor ungeduldig, wenn ich nicht das geistige Prinzip verinnerlicht hätte.
Wie Übergänge unser Leben erschaffen
Fakt ist: Nichts lässt sich beschleunigen, alles braucht seine Zeit. Man sollte tun, was man tun kann. Doch man sollte die Erwartungshaltung dabei sein lassen. Und akzeptieren, dass zu jedem Übergang auch ein Untergang gehört. Seit ich das tief in mir verinnerlicht habe, geht es mir im Leben deutlich besser.
Heute würde ich dazu raten, das Neue nicht mit Nachdruck erreichen zu wollen. Auch nicht, an dem Alten mit aller Verzweiflung festzuhalten. Wir Menschen sind, wie heißt es so schön, Gewohnheitstiere. Wir mögen alles, was wir gewohnt sind und was wir kennen. Um es auf den Punkt zu bringen: Wir sind bequem. In dieser Komfortzone lebt es sich sehr gemütlich. Ob gut oder schlecht, sei dahingestellt. Doch in dieser Komfortzone findet keine Entwicklung statt. Zu wissen, dass alles seine Zeit hat, hilft, sich dem Wandel im Leben zu stellen. Ganz gleich wie schnell oder langsam: Er kommt. Das bedeutet, dass jeder von uns lernen darf, dass er im Leben immer mal wieder Umstände, Gefühle, Verbindungen oder Situationen loslassen muss. Das zu üben, kann nie schaden.
Die Kunst ist, den Übergang bewusst zu erleben. Das Unsichtbare, was kommt, in seiner eigenen Zeit sichtbar werden zu lassen. Und diese Entfaltung zu spüren. Auch wenn es einem Angst machen kann, unsicher sein lässt, sogar fragil. Wenn einem die Sicherheit und Klarheit fehlt, die Trauer über den Verlust oder die Wut über das Fassungslose überkommt, die Gedanken kreisen. Auch dann ist der Übergang etwas Gutes.
Vielmehr sollte man den Übergang nicht ertragen und über sich ergehen lassen, sondern ihn nutzen, um sich vorzubereiten. Jawoll. So, wie jede alte Phase ihren emotionalen und weltlichen Abschluss braucht, damit wir innerlich nicht in der Vergangenheit "hängen" bleiben, braucht auch jeder Neubeginn seine Vorbereitung. Ganz gleich mit welcher Emotion alles verbunden ist, die Zeit des Übergangs ist energetisch und geistige betrachtet elementar. Sie bestimmt unser Leben. Man kann sie noch so gerne überspringen wollen. Wer in dieser Zeit das Vorangegangene und Kommende nicht klärt und sortiert, dem wird es energetisch auf bewusster oder unbewusster Ebene konstant nachhängen und nach Sortierung fragen. Denn alles was für die Zukunft nicht vorbereitet ist, hängt einem im Nachhinein ebenso nach.
Vorbereitung, Nachbereitung, bereit sein
Es ist für das Leben so wichtig, alles, was passiert, emotional zu verarbeiten. Das Leben findet im NOW statt. Es baut auf der Erfahrung und richtet sich nach den Zielen und Wünschen, die wir haben. Doch es findet nur jetzt statt. Hängen wir in der Vergangenheit oder in der Zukunft, ob emotional wohltuend oder nicht, ist unsere Energie ein Stück weit immer auch blockiert. Denn das bedeutet, wir hängen in vergangenen oder bevorstehenden Übergängen fest und können diese nicht frei durch uns durchlaufen lassen. Tatsächlich sind es EINZIG die Übergänge im Leben, die überhaupt zu Blockaden, Traumatas und Mustern führen. Nutzt man diese nicht als Sortierung, verliert man die innere Freiheit und Flexibilität und jeder Übergang wird schwerer. Denn ist die neue Phase, auf die der Übergang hinzielte, da, sind die Möglichkeiten der Sortierung während des Übergangs vorbei. Dann muss man mit der Situation selbst einen Umgang finden. Das gehört immer dazu, doch die mögliche Vorbereitung darauf ist schlichtweg nicht mehr nachträglich machbar. Natürlich kann man nicht auf alles exakt vorbereitet sein, aber man sollte so vorbereitet wie möglich sein. Energetisch betrachtet macht es einen enormen Unterschied. Auch ich bin jemand, der gerne mal Sachen einfach "mitnimmt" und meint, das wird schon irgendwie. Doch dann denke ich jedes Mal an meinen Lehrer Li, der auch den kleinsten Situationen so eine Ernsthaftigkeit und Vorbereitung entgegenbringt und erinnere mich, dass genau das vom Leben verlangt wird. Eine Wertschätzung dem Leben und all seinen Momenten gegenüber. Wie wunderschön, in diesem Bewusstsein zu leben.
Dazu gehört auch die Nachbereitung alter Phasen, sollten wir diese für uns noch nicht emotional abgeschlossen oder in der Sortierung haben. Um Vergangenes lösen zu können, bedarf es manchmal Zeit, viel Zeit, bis das Leben einem eine nächste Chance gibt.
Es wird immer Situationen geben, die im Leben so ausschlaggebend sind, dass wir doch einige Zeitzyklen brauchen um es zu sortieren, das ist klar. Doch es gibt auch so viele Situationen, die wir direkt im Übergang bewusst durcharbeiten können, um sie loszulassen. Warum nicht diese Chance ergreifen, wenn sie genau dafür da ist.
Die Schönheit des Übergangs
Übergänge sind nie schlecht, sie führen uns letztendlich individuell zu uns selbst. Das ist stets ihr „Ansinnen“, wenn man ihnen etwas zuschreiben möchte. Die einen durchleben dazu viele Übergänge, die anderen wenige, doch sei gewiss, es ist genau richtig für DICH. Auch wenn Du sie vielleicht nicht mehr "sehen" magst, endlich angekommen sein möchtest und mit Deinem Standpunkt soweit zufrieden bist. Das Leben strebt immer die höchst mögliche Entwicklung an - und das für Dein Leben zu bewerten vermag nur das Leben selbst. Keiner von uns vermag das mit seinem menschlichen Blick zu bewerten und wahrlich zu erkennen. Wozu sich dagegen sträuben, bocken und auflehnen? Wer gegen Übergänge ankämpft, kämpft gegen das Leben selbst an, gegen die Schöpfung sogar. Denn Übergang bedeutet Entwicklung bedeutet Leben. Ein Leben ohne Entwicklung ist nicht möglich.
Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: Ich persönlich strebe nach Übergängen. Ich habe gelernt, in ihnen selbst Sicherheit zu finden. Ich bin Übergang, denn ich entwickle mich ständig weiter. Zugegeben, auch ich fand sie manchmal zum k** und habe erstmal gebockt. Ich fand es blöd, unfair, im Vergleich zu andern sowieso, und war letzendlich völlig verwirrt was genau ich wollte. Denn das Neue wollte ich ja schon, das Alte aber irgendwie auch und den WEG den mir das Leben vorgab, wollte ich schonmal gar nicht. Ich wollte den Weg, den ich mir selbst dafür ausgedacht hatte. Und überhaupt, wieso sollte ICH mich denn bewegen, wenn es doch an den anderen lag und DIE den eigentlichen Übergang bräuchten? Meine innere Haltung glich der eines Hundes, der aus eigener Laune einfach stehen bleibt und sich auch mit größter Anstrengung des Herrchens keinen Zentimeter bewegt.
Doch auch hier lässt sich nur sagen: Den Weg entscheiden nicht wir, den entscheidet das Leben. Wenn Du es schaffst diesen einfachen Satz wirklich anzunehmen und danach zu leben, glaube mir, dann wird Dein Leben sich in eine komplett andere Richtung bewegen. Hin zu Flow. Das ist mein voller Ernst.
Wir können den Weg ohnehin nur annehmen lernen und schauen, was genau er uns zeigen will und warum er um alles auf der Welt nun so ist, wie er ist. Und bei den anderen anzusetzen hilft schonmal garnicht, half noch nie, es hat immer immer immer alles auch mit einem selbst zu tun und man selbst kann sich immer immer immer auch weiter entwickeln. Nicht wegen den Anderen, für sich selbst. Auch wenn man das nicht mag, so kann man im Leben nur bei sich selbst hinschauen und ansetzen.
Akzeptanz und Hingabe an die Übergänge sind der einzig mögliche Weg, so meine Erkenntnis, denn je bockiger man wird, desto intensiver und öfter stellt das Leben einen vor Übergänge - bis man das, was man dadurch entwickeln sollte, entwickelt hat. Ich weiß, I feel you. Will alles keiner hören, doch ich schreib‘s mal hin, nützt ja nichts.
Abschließende Gedanken
Im Nachhinein sind es oft die Übergänge, die besonders prägend und wegweisend, aber auch besonders besonders waren. Warum erst im Nachhinein diese Schönheit erkennen, die Anekdoten erzählen, die anfänglichen Zeiten von etwas beinahe herbeisehnen. Ein fester, angekommener Zustand mag sich sicher anfühlen, doch in ihm ist immer auch eine Note Behäbigkeit zu finden. Der Übergang hingegen ist frei.
Ich lade Dich dazu ein, diese Zeit nicht erst hinterher schätzen zu wissen, sondern sie in dem Moment, genau jetzt, anzunehmen. Zu schauen, was Du ihr abgewinnen kannst und was Du einfach bewusst annehmen und leben kannst. Es wird Dein Leben bereichern.
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